Das Verhalten der deutschen Bischöfe



Es wäre auch alles so schön gelaufen, die Kirche hatte man im Boot - trotz Bischof Lehmanns Warnung vom 10. Juni 1992: ‚die Kirche könne sich „nicht in ein Verfahren einbinden lassen, das die Ausstellung einer Beratungsbescheinigung zu einer wesentlichen Voraussetzung für die straffreie Tötung eines ungeborenen Menschen macht“’ - als Papst Johannes Paul II. in seinem Brief vom 21. September 1995 an die in Fulda versammelten Bischöfe bat, bei der anstehenden „Neudefinition der kirchlichen Beratungstätigkeit“ den „veränderten Stellenwert“ zu beachten, „den das neue Gesetz der Beratungsbescheinigung zuweist“, und die kirchliche Beratung so zu organisieren, „dass die Kirche nicht mitschuldig wird an der Tötung unschuldiger Kinder“’ (Spieker S 124). Denn der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz leitete nach der Urteilsverkündung des Bundsverfassungsgerichts eine Wende ein, als er in einem Vortrag am16. Juni 1993 „nicht weniger als sechsmal davor warnt das Beratungskonzept mit dem Begriff „Fristenregelung“ zu bezeichnen.“ (Spieker S 88). Statt sich an die Spitze der Lebensrechtsbewegung zu stellen, eine Gegenoffensive mit dem ZdK, den kath. Verbänden und den Lebensschutzorganisationen zu starten, z.B. Andachten, Demonstrationen, eine Unterschriftenaktion für uneingeschränkten Lebensschutz, ging: ‚Das Bemühen die Fristenregelung zu verbergen … (.) soweit, dass das Katholische Büro den Koalitionsfraktionen … zuallererst den Rat gab, alles zu tun, um Assoziationen mit der Fristenregelung zu vermeiden. „Es sollte von vorneherein durch eine adäquate Bezeichnung allen Tendenzen und Versuchen entgegengewirkt werden“, schrieb Prälat Bocklet in einem Brief vom 8. November 1993 an den Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktion Schäuble, „das Konzept des Bundesverfassungsgerichts mit einer wie auch immer gearteten Fristenregelung gleichzusetzen und es damit insgesamt zu entwerten.“’ (Spieker S 89).

Gern nahm die Politik diesen Rat an und verkündete landauf – landab in Deutschland gäbe es, im Gegensatz zu anderen Ländern – wo es die Fristenregelung gibt - europa-, oder gar weltweit das beste Lebensschutzkonzept. Spieker:

„Die Reformen des Paragrafen 218 StGB 1992 und 1995 brachten für alle, die im Hinblick auf den Lebensschutz ihre Hoffnungen auf die CDU und die CSU setzten, die nächste Enttäuschung. Die Regierung Kohl und die Mehrheit der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag unterstützten den Paradigmenwechsel vom strafbewehrten Abtreibungsverbot zum Beratungsangebot, durch das das ungeborene Kind angeblich besser geschützt werden sollte. Sehr schnell stellte sich heraus, dass das Gegenteil der Fall war. Der Paradigmenwechsel opferte das Lebensrecht des Kindes dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren. … Nach der Aufforderung Papst Johannes Pauls II. im Januar 1998, die Ausstellung des Beratungsscheines in der Schwangerschaftskonfliktberatung zu beenden, bat der Bundeskanzler die Bischofskonferenz, den Bundestagswahlkampf des gleichen Jahres nicht mit einer Neuregelung der kirchlichen Schwangerenberatung zu belasten. Dieser Bitte kam Bischof Lehmann nach, indem er eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Ernst-Wolfgang Böckenförde einsetzte, die die Beratungen über diese Neuregelung bis Januar 1999 hinauszog“ (DT 30.12.06).

‚Bundeskanzler Helmut Kohl habe die Bischofskonferenz, so ein Mitglied einer eingesetzten Arbeitsgruppe, geradezu „angebettelt“, die Entscheidung über die kirchliche Beratungstätigkeit nicht vor der Bundestagswahl am 27. Sept. 1998 zu treffen’ (Spieker, S 147). ‚Sowohl von bischöflicher als auch von parlamentarischer Seite wurde das Bündnis zwischen Bischof Lehmann und Kanzler Kohl kritisiert, indem Bischof Lehmann der Bundesregierung die Unterstützung der katholischen Kirche für die Neuregelung des Paragrafen 218 StGB zusicherte, sofern diese Neuregelung das Beratungsmodell der Kirche bestätigte’ (DT 30.12.06). ‚Schließlich verteidigte die Mehrheit der Bischöfe unter der Führung von Bischof Lehmann ab 1998 nicht mehr das kirchliche Profil der Beratungsstellen gegenüber den Zumutungen des Gesetzgebers, sondern das Beratungskonzept des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes gegen die „Zumutungen“ des Papstes’ (Spieker S 126).

Statt auf den zu schauen, der von sich sagt „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, Jesus Christus, und den Weg zu beschreiten, der den Christen der einzig mögliche ist, nämlich das Gebot Gottes - Du sollst nicht töten - zu befolgen, suchten die Bischöfe einen Ausweg und führten die Kirche in Deutschland an den Rand des Abgrunds. Dem Unrecht, das die Kirche im Laufe der Geschichte begangen hat, fügten sie ein neues hinzu.

Verblendet durch das „C“ der damaligen Regierungsparteien (für deren Machterhalt – wäre die SPD an der Regierung gewesen, hätte sich die Kirche sicher nicht an diesem Unrecht beteiligt) haben die Bischöfe einen Irrweg beschritten und christliche Werte leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Alleine dadurch, dass sie Bedingungen (Beratung) stellten, haben sie der Fristenlösung zugestimmt. Durch die Teilnahme an diesem System haben sie dies bestätigt und sich somit in einer sich selbst gestellten Falle verfangen. Wenn auch stets als Erfolg, als Verdienst dargestellt und hoch gepriesen, haben die deutschen Oberhirten der Kirche und den Gläubigen damit einen schlechten Dienst erwiesen. Die Kirche in Deutschland hat leider, nicht den Gesetzgeber beeinflusst, sondern hat sich umgekehrt von ihm beeinflussen lassen. Die Bischöfe verwiesen auf das gute Verhältnis von Kirche und Staat. Dieses hätte man allerdings zu allen Zeiten haben können, z.B. die Märtyrer Bischof John Fisher und Thomas Morus oder im Dritten Reich Kardinal von Galen, Pater Rupert Mayer u. a., wenn man bereit gewesen wäre Gottes Gebote und die Lehre der Kirche zu unterlaufen. So meinte der damalige Regensburger Bischof Manfred Müller ‚„Die Frage ist, ob der Papst in diesen diffizilen Themen wirklich den Durchblick für die spezielle Situation in Deutschland hat.“ Er sorgte sich darum, daß als Konsequenz des Ausstiegs aus der Beratung die gute Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche auf Dauer erschüttert würde. Dies könne den Religionsunterricht in den Schulen, die Militärseelsorge und Fragen der Kirchensteuer betreffen (DA 18.10.1999).

Vielleicht hatte der Papst den Durchblick für die spezielle Situation in Deutschland nicht, was wir bezweifeln, aber absolut sicher ist, dass die Kirche unter seinem Pontifikat wie unter dem Pontifikat des gegenwärtigen Papstes Benedikt XVI. nicht käuflich ist und käuflich sein darf. Trickreich versuchten die Bischöfe alles zu tun um im staatlichen System bleiben zu können, aber: ‚Daß Johannes Paul II. mit dem Vermerk auf dem Beratungsschein „Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden“ nicht nur die moralische, sondern auch die rechtliche Qualität des Dokuments klarstellen wollte, stand ausdrücklich in seinem Brief. Im Kommentar des Staatssekretariats zum Papstbrief hieß es ebenso klar, dass der Papst diesen Vermerk angeordnet habe, „damit die Verwendung des Scheins als Zugang zur Abtreibung nicht möglich ist“. In seinem Interview mit dem Spiegel stellte Bischof Lehmann wenige Tage später fest, der Papst habe gar keine Befugnis, den Beratungsschein für den staatlichen Bereich unwirksam zu machen. Der päpstliche Vermerk sei „eine besondere, extreme Form einer ethischen Aufforderung… Ausdruck des Selbstverständnisses der Kirche“. Die Frau aber könne „mit dem Beratungsschein machen, was sie will. Sie kann ihn zerreißen und in den nächsten Bach werfen. Sie kann aber auch zum abtreibenden Arzt gehen“. Sie brauche keine Angst zu haben, „der Schein könnte unwirksam sein und gar nichts taugen“. Für den Staat sei wichtig, dass der Schein eine Beratung dokumentiere. „Was sonst auf dem Schein steht, interessiert ihn nicht.“ Sollte der Staat den kirchlichen Schein nicht akzeptieren, „lassen wir eine Nicht-Anerkennung gerichtlich klären“’ (Spieker S 167). Mit seinem Vorschlag „anstelle des umstrittenen Beratungsscheins könnte auch eine eidesstattliche Erklärung der Frau treten“ (DA 29.11.1999) hätte er sogar der Lüge Tür und Tor geöffnet. Spieker: ‚Geradezu maßlos aber war seine (Lehmann) Kritik an den „Schreibtischtätern“, die sich um Schwangere in Not nie gekümmert, aber die Würzburger Lösung sabotiert hätten. Durch „systematische Desinformation, … Aggressionen und Verleumdungen gegen einzelne Bischöfe“ auch in „seriösen Presseorganen“ hätten sie eigene Vorurteile gepflegt, das Bildungsbürgertum für sich eingenommen und Druck auf Rom ausgeübt’ (S 174).

Durch das Eingreifen von Kardinal Meisner, der den Papst schließlich über den geplanten Schwindel unterrichtete, gelang es nicht den Papst auszutricksen, so dass endlich nach jahrelangem Konflikt der Papst den deutschen Bischöfen untersagt hatte, die bisherige katholische Schwangerenberatung weiterzuführen . “Ich will gar nicht so tun, als ob ich da einen Ausweg sehe“, sagte Lehmann. „Ich sehe im Moment keinen Ausweg, ich sehe keinen“ (DA 23.10.1999). Darauf hatten die Bischöfe signalisiert, sie wollten bei einem turnusmäßigen Besuch im Vatikan vom 8. bis zum 21. November nochmals versuchen, den Heiligen Vater umzustimmen. ‚Der Regensburger Bischof Manfred Müller sagte, er wolle das Kirchenoberhaupt „von Angesicht zu Angesicht fragen, ob es wirklich sein Wille ist, die Chancen zu verringern mit denjenigen Frauen in Kontakt zu kommen, bei denen eine Abtreibung vielleicht noch abgewendet werden kann“’ (DA 4.10.1999). Nachdem die Bischöfe, allen voran der Vorsitzende der DBK, Lehmann so die Sache lange am Kochen gehalten und 13 Bischöfe vergeblich dem Papst ins Gewissen geredet hatten - statt den im ZdK sitzenden Politikern, die Macht hatten auf eine Gesetzesänderung hinzuwirken, zu verantwortbarem Handeln aufzufordern - mahnte Bischof Lehmann endlich: ‚es habe keinen Sinn, die Entscheidung des Papstes zu unterlaufen. Die Ausstellung des Beratungsscheins durch katholische Stellen habe durchaus auch Probleme mit sich gebracht, „wenn man den faktischen Gebrauch und die konkrete Bewusstseinsbildung in unserer Gesellschaft ins Auge fasst“’ (DA 25.11.1999).

Die Bischöfe wussten also, was sie taten und welch negative Folgen dies zeitigte. Trotzdem sahen sie tatenlos zu, als (überwiegend von der kath. Basis nicht gewählte) Laienrepräsentanten über die Köpfe der Katholiken, die zu vertreten sie vorgeben, hinweg mit der Gründung von „Donum vitae“ die Gläubigen als Deckmantel für ihre unchristliche Politik missbrauchten.

Scheinbar herrschte eine gewisse Verwirrtheit. Prof. Heinrich Krone, ehemaliger Leiter einer großen Frauenklinik in Bamberg, stellt in seiner Antwort auf einen Brief von Frau Maria Geiss-Wittmann fest:

„Die Ausstellung des Beratungsscheines ist juristisch gesprochen eine Beihilfe zur Tötung des ungeborenen Kindes im Mutterleib. An dieser Tatsache gibt es nichts zu beschönigen. Auch wird durch dieses Konzept das zunehmende Unrechtsbewusstsein, das eine wichtige Grundbedingung eines jeden Lebensrechtsschutzes ist, im Denken und Empfinden der Bevölkerung nicht nur weiter abgeschwächt, sondern geradezu zerstört. … Der Staat hatte bisher die Katholische Kirche in Deutschland, …, als Schutzmantel für sein rechtswidriges Gesetz benutzt. Die Kirche nahm somit für den Staat eine angenehme Alibifunktion wahr; und es besteht der begründete Verdacht, dass sich der Staat mit der Einbindung der Kirche in dieses Unrechtsgesetz moralisch absichern wollte. Mit der Gründung von Donum Vitae laufen Sie jetzt Gefahr, dem Staat gegenüber die gleiche Rolle wie die Kirche zu spielen. … Schon vor über fünf Jahren hatte ich in verschiedenen Vorträgen darauf hingewiesen, dass wegen des Lebensschutzmangels dieses Gesetzes der Katholischen Kirche eine Mitwirkung ihrer Beratungsstellen im System nicht empfohlen werden kann, da die Kirche sonst eine Mitverantwortung für das Unrechtssystem im ganzen tragen und weiter an Glaubwürdigkeit verlieren würde“ (Theologisches März 2001).

‚Schwangerenkonfliktberatungsstellen, die Bescheinigungen ausstellen, leisten „rechtswidrige Beihilfe zur rechtswidrigen, wenn auch straffreien Abtreibung“. Damit verstoßen sie gegen den vom Bundesverfassungsgericht 1993 geforderten Schutz der Leibesfrucht. Dies erklärte jetzt der Rechtsphilosoph und Strafrechtswissenschaftler Prof. Günther Jacobs (Bonn). Nach Ansicht des Vorsitzenden der Juristenvereinigung Lebensrecht, des Freiburger Verwaltungsrichters Bernward Büchner: „beteiligen sich Beratungsstellen durch das Ausstellen von Beratungsscheinen auch an der Zerstörung des Unrechtsbewußtseins“’ (RB 28.05.2000). Wie viele Kinder wurden wohl gerade wegen der Beteiligung der Kirche und des vehementen Eintretens der Bischöfe und des ZdKs für den Verbleib in der staatlichen Scheinberatung abgetrieben? Wie viele unschuldige Kinder haben die, die sich aus Gewissensgründen für das Ausstellen des todbringenden Scheins eingesetzt haben, langfristig gesehen auf dem Gewissen? Nicht die geringsten Gewissensbisse scheinen sie wegen ihrer Vergehen, ihrer Versündigung an den Seelen der Menschen zu haben, deren Gewissen desensibilisiert und eingeschläfert werden.

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