"Anlaß für eine Verunsicherung besteht nicht..."

Regierungserklärung von Staatsministerin Barbara Stamm zur Schwangerschaftskonfliktberatung


Jeder von uns hat in den letzten Tagen die Meldungen in den Medien über einen Brief des Papstes an die Deutsche Bischofskonferenz mit besonderer Aufmerksamkeit und Sorge verfolgt. Die gestrige Erklärung der deutschen Bischöfe habe ich mit großer Erleichterung zur Kenntnis genommen

Es ist eine gute Botschaft für das ungeborene Leben, für die Rat suchende Frau, die Beratungskräfte und auch für die Staatsregierung. Der langjährige engagierte Einsatz der Katholischen Beratungsstellen und der Lebensschutz haben gesiegt. Wie stellt sich die Situation nun nach der Entscheidung der Deutschen Bischofskonferenz dar?

l. Die Katholische Kirche steht zu ihrer Verpflichtung in der Schwangerschaftskonfliktberatung. Sie wird deshalb im staatlichen System der Schwangerschaftskonfliktberatung bleiben. 

2. Die Kath. Beratungssteilen werden der schwangeren Frau voraussichtlich ab Oktober einen Beratungs- und Hilfeplan nach einer Konfliktberatung aushändigen. Der neu einzuführende Beratungs- und Hilfeplan wird für ratsuchende Frauen zusätzliche Sicherheit bringen. Auch die Staatsregierung hält den Beratungs- und Hilfeplan für eine durchaus sinnvolle Verbesserung. Er geht ganz in die Richtung unseres Bayer. Schwangerenberatungsgesetzes, wonach Beratung und praktische Hilfe als untrennbare Einheit anzubieten sind. 

3. Der vom Papst gewünschte Zusatz - ich zitiere - "Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen" verwendet werden", wird künftig in den Beratungs- und Hilfeplan mitaufgenommen werden. Die Kirche sieht in diesem Zusatz ein eindeutiges Zeugnis für den Lebensschutz. Sie ist sich aber darüber im klaren, daß sie mit dieser Regelung keine verbindlichen Vorgaben für das staatliche Recht treffen kann. Die Kirche sieht den vorgesehenen Zusatz nicht als eine rechtliche Verpflichtung im staatlichen Sinne. Vielmehr ist er als ernsthafter sittlicher Appell zu verstehen, das ungeborene Leben zu schützen und andere Auswege als die Abtreibung aus der Konfliktsituation zu suchen. Ich darf Kardinal Friedrich Wetter zitieren, der in dem Zusatztext mehr eine kirchlich-sittliche Bedeutung als eine staatlichjuristische sieht. Auch Bischof Lehmann hat sich in seiner gestrigen Erklärung in diesem Sinne geäußert: "Für den staatlichen Rechtsbereich bedeutet der Zusatz nicht daß eine solche Bescheinigung das Schwangerschaftskonfliktgesetz einfach unterläuft, gar aushebelt oder einzelne Bestimmungen in einem rechtlichen Sinne außer Kraft setzt."

"Die Staatsregierung nimmt dieses Angebot gerne an"

Es steht also nach wie vor in der Verantwortung der Frau, wie sie die Beratungsbescheinigung verwenden will. Die Bischöfe haben die Absicht, über das weitere Vorgehen baldmöglichst mit den Beratungssteilen und mit den Ländern zu sprechen. Die Staatsregierung nimmt dieses Angebot gerne an. Wir werden mit den bayerischen Bischöfen eingehend erörtern, wie die Beratung im einzelnen ausgestaltet wird. Ich habe keinen Zweifel, daß wir gemeinsam den Verbleib der katholischen Beratungsstellen in der Schwangerschaftskonfliktberatung sichern können. Ich hoffe, daß auch diejenigen, die vorgestern noch lautstark eine Fortsetzung der Schwangerschaftskonfliktberatung durch die kath. Kirche gefordert haben, aktiv daran mitwirken werden. Wenn ich allerdings die Dringlichkeitsanträge der Opposition betrachte, ist mit Ihrer Unterstützung wohl nicht zu rechnen.

Katholischer Bereich soll einheitlich verfahren

Die Bischöfe haben ihre Lösung einvernehmlich beschlossen (ohne Gegenstimme und bei einer Enthaltung). Ebenso wie dem Papst muß auch allen Ländern daran gelegen sein, dass der gesamte katholische Bereich in Deutschland jetzt einheitlich verfahrt. Ich würde mir wünschen, daß dieser Konsens der Bischöfen auch unter den Ländern möglich ist, gleich wer dort die Regierung stellt. 
Wenn man den gefundenen Lösungsweg insgesamt beurteilt, so berücksichtigt er letztlich doch die Interessen aller Beteiligten. Insbesondere die engagierten Beraterinnen in den kirchlichen Beratungsstellen können nunmehr aufatmen. Sie haben unter der langen Unsicherheit sehr gelitten. Ich wünsche mir, daß dies mit dem klaren Bekenntnis der Bischöfe für den Verbleib in der Schwangerenkonfliktberatung nunmehr ein Ende hat. An dieser Stelle mochte ich von ganzem Herzen allen Beraterinnen und Beratern, die in der Schwangerschaftskonfliktberatung in Bayern tätig sind, für ihren bedingungslosen Einsatz zum Schutz des ungeborenen Lebens danken. 

Klares Zeichen der katholischen Kirche

Noch eins will ich in aller Klarheit feststellen: Die deutlichere Akzentuierung des Beratungs- und Hilfecharakters der Konfliktberatung durch den Beratungs- und Hilfeplan deckt sich mit dem Anliegen der Staatsregierung. Die Staatsregierung ist stets der Auffassung gewesen, daß in der öffentlichen Diskussion die Schutzfunktion des Beratungsgesprächs zu wenig Beachtung findet, hingegen die Rechtsfolgen der Beratungsbescheinigung zu viel. So mancher sah in der Konfliktberatung ein notwendiges Übel vor Erteilung des Beratungsscheines. Die kath. Kirche hat mit ihrer Entscheidung nunmehr ein klares Zeichen gesetzt.
Anlaß für eine Verunsicherung besteht durch die bischöfliche Erklärung nicht. Bis Oktober wird sich an der bisherigen Praxis nichts ändern. Erst ab diesem Zeitpunkt haben die Bischöfe die Umstellung der Beratungsbescheinigung ins Auge gefaßt. Ich bin mir sicher, daß wir bis Herbst eine klare und unmißverständliche Lösung haben werden. 

"Wir brauchen die Wahlfreiheit"


Besonders dankbar bin ich darüber, dass mit dem Verbleib der kath. Beratungsstellen in der Konfliktberatung Kontinuität und Pluralität voll gewährleistet bleiben. Wir brauchen engagierte Fachkräfte, die über lange Zeit und mit viel Erfahrung in der Konfliktberatung tätig sind, qualifizierte Fachkräfte, die mit dieser außerordentlich sensiblen und schwierigen Materie zurechtkommen. Wir brauchen die Wahlfreiheit der Ratsuchenden, dorthin gehen zu können, wo sie sich mit ihren Problemen und Nöten am besten aufgehoben fühlen. Und wir brauchen auch das Vertrauen in die Konfliktberatung, damit die Frauen die notwendigen Hilfestellungen für eine eigenverantwortliche Entscheidung annehmen können.

115 anerkannte Beratungsstellen

Zur Erleichterung der anschließenden Diskussion habe ich bewußt das Zahlenmaterial, das die katholischen Schwangerenberatungsstellen und auch alle übrigen betrifft, an den Schluss meines Statements gesetzt. Es soll hier voll präsent sein, um welche Größenordnungen es sich gehandelt hätte, wenn die Tätigkeit der katholischen Beratungsstellen in Bayern beschnitten worden wäre.
Wir verfügen in Bayern derzeit über 115 anerkannte Schwangerenberatungsstellen davon 76 bei den Gesundheitsämtern. 41 befinden sich in freier Trägerschaft, davon wiederum 24 in Hand der katholischen Kirche. Ihr Anteil am Beratungsangebot freier Träger beträgt damit 59%.
Noch wichtiger als der Anteil der kath. Beratungsstellen ist die tatsachlich erbrachte Beratung. Hier greife ich auf die neueste Tätigkeitsstatistik des Jahres 1998 zurück. Danach übernehmen katholische Beratungsstellen von allen Beratungen in Bayern 33% der allgemeinen Schwangerenberatungen, 26% der Konfliktberatungen nach §219 StGB und zahlen etwa die Hälfte der Beihilfen der Landesstiftung "Hilfe für Mutter und Kind" aus. 

"Qualifiziertes plurales Beratungsangebot"

Das ist eine stattliche Bilanz, die, so meine ich, am besten die Glaubwürdigkeit kirchlichen Handelns für den Schutz des ungeborenen Lebens unter Beweis stellt. Angesichts dieser Zahlen wundert es mich schon sehr, meine Damen und Herren der Opposition, daß Sie die katholischen Beratungsstellen offenbar aus der Schwangerenkonfliktberatung hinausdrängen wollen. Alle Beratungsstellen haben im vergangenen Jahr zusammen 33551 allgemeine Schwangerenberatungen und 21766 Konfliktberatungen geleistet. Der Vergleich der Konfliktberatungen mit den Abbruchszahlen zeigt, daß durch die Konfliktberatung jährlich rund 7000 Kinder in Bayern gerettet werden konnten. Damit sollten wir uns aber nicht zufrieden geben, sondern weiter gemeinsam mit allen zuständigen Stellen. Trägern und Fachkräften an der Verbesserung des Lebensschutzes für das ungeborene Kind arbeiten. In Bayern wird auch künftig für schwangere Frauen ein qualifiziertes plurales Beratungsangebot zur Verfügung stehen. 

Aus: Bayerischer Staatsanzeiger, 25.06.1999

 

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Last update: 06. Februar 2001 14:14