"Donum Vitae hat Gestaltungsfreiheit"

Regensburger Kirchenrechtlerin Sabine Demel hält Drohung mit Strafen für falsch

Gegen das „Märchen von den drohenden Kirchenstrafen für Donum Vitae" wendet sich Sabine Demel, Inhaberin des Lehrstuhls für Kirchenrecht an der Theologischen Fakultät der Universität Regensburg. In einem Interview unterstreicht die Professorin das Recht der Kirchenmitglieder, in der Frage des wirkungsvollsten Lebensschutzes einen anderen als den von Rom gewünschten Weg einzuschlagen.

Frage: Frau Professorin Demel, Sie sind Kirchenrechtlerin und Gründungsmitglied des neuen Trägervereins Donum Vitae (Geschenk des Lebens). Fürchten Sie keine Sanktionen, wenn dieser Verein die Schwangerenberatung mit Beratungsschein gegen den Willen der höchsten kirchlichen Autorität fortsetzen würde?

Demel: Nein. Es muß endlich Schluß sein mit dem Märchen von den drohenden Kirchenstrafen für Donum Vitae. Dieser Verein von katholischen Christen ist doch mit dem Papst und den Bischöfen im Grundsätzlichen einig, nämlich daß Abtreibung die Tötung eines Menschen und damit eine Straftat ist, die es zu verhindern gilt. Nur in der Frage, wie dieses Ziel pastoralpraktisch am besten erreicht werden kann, vertritt Donum Vitae eine andere Auffassung als die höchste kirchliche Autorität des Papstes. Beide Positionen sind seit langem in der Diskussion und können für sich gute Argumente in Anspruch nehmen.

Frage: Ihr Passauer Fachkollege Helmuth Pree hat kürzlich daran erinnert, daß das Kirchenrecht nicht nur von Bischöfen und Priestern Gehorsam gegenüber päpstlichen Weisungen verlange, sondern auch von den einfachen Gläubigen.

Demel: Das ist prinzipiell richtig, nur trifft es im konkreten Fall nicht zu, weil sich der Papst nicht an alle Katholiken gewandt hat, sondern explizit an die Bischöfe. Er erteilte ihnen die Weisung, nicht mehr zuzulassen, daß Beratungsscheine im Namen der Kirche ausgestellt werden. Und das hat der Papst mit gutem Grund getan. Der normale Katholik kann nämlich nicht dafür sorgen, daß etwas im Namen der Kirche geschieht, denn dazu braucht er einen speziellen Auftrag der kirchlichen Autorität. Es ist zu unterscheiden, ob jemand nur kraft Taufe und Firmung tätig ist oder darüber hinaus mit kirchlichem Auftrag im Namen der Kirche oder schließlich Kraft Weihe in Stellvertretung Jesu Christi. Der gestuften Teilhabe aller Gläubigen an der Sendung der Kirche entspricht nämlich eine Stufung in den Rechten, aber auch in den Pflichten.

Frage: Im Streit der Meinungen hat der Passauer Kirchenrechtler Pree die Gründung des Vereins Donum Vitae als „illegitim und gehorsamswidrig" bezeichnet. Wie sehen Sie das als Beteiligte?

Demel: Ich kann diese Auffassung nicht nachvollziehen, denn eine Gehorsamspflicht des Einzelnen gegenüber der kirchlichen Autorität gemäß Canon 212 ist nicht gegeben, weil sich der Papst an die Bischöfe gewandt hat. Deshalb kann auch nicht mit der Strafnorm des Canon 1371 Nr. 2 wegen angeblichen Ungehorsams gedroht werden. Außerdem ist ein Verein nicht illegitim, der in Gemeinschaft mit dem Papst und den Bischöfen das kirchliche Ziel des unbedingten Lebensschutzes ungeborener Kinder verfolgt, in der Umsetzung dieses Zieles aber eine andere Auffassung vertritt. Andernfalls gilt in der katholischen Kirche nicht mehr, daß Einheit und Vielfalt genauso zusammen gehören wie Gehorsam und Freiheit und wie kirchliche Autorität und Glaubenssinn des ganzen Gottesvolkes.

Frage: Donum Vitae will ein freier Zusammenschluß von Katholiken gemäß Canon 215 sein. Was bedeutet das?

Demel: Unser Verein beansprucht keineswegs, im Namen oder Auftrag der kirchlichen Autorität tätig zu sein, wohl aber kraft der in der Taufe verliehenen Sendung. Gerade weil er nicht im Namen der Kirche handelt, ist er von der kirchlichen Autorität unabhängig und besitzt so lange Gestaltungsfreiheit, wie er nicht antikirchliche Ziele verfolgt oder in Widerspruch zu einer kirchlichen Lehre gerät. 

Interview: Jörg Hammann

Aus: Regensburger Bistumsblatt Nr. 50/96

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Last update: 06. Februar 2001 14:14